Das Posener Archiv der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN)
Das Archiv der PAN in Posen ist eine Abteilung des Archivs der PAN in Warschau, das am 1. Dezember 2003 die Feier seines 50-jährigen Bestehens beging. Die Zweigstelle des Archivs der PAN in Posen wurde am 1. Mai 1956 auf Beschluss des damaligen wissenschaftlichen Sekretärs der PAN, Prof. Henryk Jabłoński, eröffnet. Leiter der Posener Stelle wurde damals der Historiker, Dr. Kazimierz Ślaski (1912-1990), der sich vor allem mit der organisatorischen Archivarbeit und der Schaffung von Bedingungen zur Aufbewahrung der Sammlungen und auch der Knüpfung von Kontakten mit der Welt der Wissenschaft befasste. Die Posener Stelle des Archivs der PAN wurde mit dem Ziel der Sammlung, Bearbeitung und Erschliessung von Quellenmaterialien zur Geschichte der polnischen Wissenschaft, mit besonderer Berücksichtigung des Gebietes Grosspolen geschaffen. Die Arbeiten wurden mit der Registrierung der wissenschaftlichen Quellen begonnen, die sich in den Beständen der Archive, Bibliotheken und Museen in Grosspolen befanden und auch in Privatsammlungen.
Im Laufe der Zeit hat das Archiv begonnen, Akten aus allen Zweigstellen der PAN und anderen wissenschaftlichen Instituten und auch Materialien privater Herkunft in Form von handschriftlichen Nachlässen von Gelehrten in Posen und Grosspolen zu sammeln.
Der erste Sitz des Archivs war ein kleiner Raum in der Bibliothek der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften (PTPN), übergeben von dem damaligen Vorsitzenden der PTPN, Prof. Kazimierz Tymieniecki. Im April 1957 wurden die ersten Archiv-Materialien übernommen. Es waren die wissenschaftlichen Arbeiten von Prof. Zygmunt Wojciechowski (1900-1955), dem Organisator und dem ersten Direktor des West-Instituts in Posen. Im Oktober 1957 kaufte man den Nachlass von Antoni Wróblewski (1881-1944), dem Botaniker und Dendrologen, dem Direktor der Gärten der Kórniker Stiftung.
Im Jahre 1958 erhielt das Archiv sein erstes eigenes 30 qm grosses Lokal im Działyński-Palast (Stary Rynek 78/79). Man begann damals die Archivbestände systematisch zu ordnen und zu beschreiben. Das Archiv schloss sich aktiv dem wissenschaftlichen Leben Posens an und gewann dadurch an Bedeutung. Die lebhaften Kontakte hatten verschiedenen Charakter und erleichterten auch das Sammeln gesuchter Archivalien.
Im Jahre 1964 wurde Dr. Jan Szajbel (1926-1973) Leiter des Archivs. Er hatte diese Stelle bis Ende Januar 1972 inne und übernahm anschliessend die Direktion des Staatsarchivs in Posen. In Posener wissenschaftlichen Kreisen machte er sich zunächst verdient als Vorsitzender des Gewerkschaftsrates aller Stellen der PAN in Posen und anschliessend in den Jahren 1970-1972 als Sekretär des Vorbereitungsausschusses für die Gründung der Abteilung der PAN in Posen. Während seiner Amtsperiode übernahm das Posener Archiv die Aufsicht über die Sammelstellen von Akten aller Stellen der PAN in Posen und Grosspolen.
Vom 1. Februar 1972 bis 30. Juni 2006 leitet die Stelle Dr. Anna Marciniak, die ihre Arbeit im Archiv im Jahre 1962 begann, noch als Studentin der Geschichte an der Adam-Mickiewicz-Universität (UAM), und die als Leiterin besonderen Wert auf das Sammeln von Nachlässen der Gelehrten legte. Ende 1971 besass das Archiv 44 Privatnachlässe. In den Jahren 1972-2003 wuchsen sie auf über hundert an. Die Materialien wurden nach schwierigen, oft mehrjährigen Bemühungen durch Ankauf, Geschenke und als Depositen erworben. In den letzten Jahren nimmt das Archiv ausschliesslich Schenkungen und manchmal auch Depositen an.
Von 1. August 2006 leitet die Stelle Mgr. Jarosław Matysiak, die ihr Arbeit im Archiv im Jahre 1998 begann.
Als Ergebnis langdauernder Bemühungen und dank der Unterstützung des Präsidiums der Abteilung der PAN in Posen hat das Archiv im April 1974 ein neues Lokal im dritten Stock des Gebäudes der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften in der Mielżyński Strasse 27/29 erworben. Dieses Lokal mit einer Fläche von ca. 120 qm erwies sich im Laufe der Jahre zu klein für den Archivbedarf und ein Teil der Sammlungen wurde leider im Keller untergebracht.
Gegenwärtig, zu Beginn des Jahres 2007, zählt der Bestand der Archivmaterialien ca. 360 lfd. m an Akten und. Die Archivalien sind in 159 Forschungsgruppen zusammengefasst, von denen 16 Gruppen amtliches Herkunft sind (Akten der Polnischen Akademie der Wissenschaften) und 143 privater Herkunft, also Nachlässe von Wissenschaftlern. Die letzteren bilden den wichtigsten und wertvollsten Kern der Archivsammlungen.
Das Interesse der Forscher konzentriert sich auf die Nachlässe bedeutender Gelehrter. Die zahlreichsten und umfangreichsten sind die Nachlässe der Humanisten wie Prof. Józef Kostrzewski (1885-1969), Entdecker der prähistorischen Siedlung Biskupin, Mitglied der PAN, der vieljährige Streitdiskussionen über die Herkunft der Slawen mit deutschen Forschern führte, dann der Historiker: Professoren Bronisław Dembiński, Zdzisław Grot und Witold Jakóbczyk, der hervorragenden Kenner im Bereich der Geschichte Grosspolens im 19. Jahrhundert. Dann Dr. Kazimierz Kaczmarczyk, Leiter des Staatsarchiv in Posen, Stanisław Kozierowski, Pfarrer und Sprachwissenschaftler. Unter Historikern sind auch drei Mitglieder der PAN: Henryk Łowmiański, Kazimierz Tymieniecki und Zygmunt Wojciechowski.
Ferner besitzen wir die Nachlässe der Juristen, Professoren Tadeusz Cyprian, polnischen Beobachter des Nürnberger Prozesses, Janusz Deresiewicz, Zdzisław Kaczmarczyk, Witold Maisel, Gründer der polnischen Schule der Rechtsarchäologie, Antoni Peretiatkowicz und Bogdan Winiarski, Richter des Internationalen Gerichtshof in Haag. Ein Schüler von Prof. Winiarski, dem Spezialisten des internationalen Rechts und Mitglied der PAN, Prof. Krzysztof Skubiszewski, ehemaliger Aussenminister der Republik Polen, schenkte ebenfalls die Materialien seiner politischen und wissenschaftlichen Tätigkeit und legte sie im Archiv neben die Dokumente seines Vaters, Prof. Dr. med. Ludwik Skubiszewski.
Im Archiv der PAN sind auch Materialien bedeutender Philologen untergebracht, solcher wie Roman Pollak, Rektor der Polnischen Geheimen Universität in Warschau in den Jahren 1943-1944, Stefan Vrtel-Wierczyński, Direktor der Nationalbibliothek in Warschau in den Jahren 1937-1939 und 1945-1947 und Jerzy Ziomek. Eine sehr wertvolle und umfangreiche Kollektion sammelte der Philologe Stanisław Helsztyński, Professor für Anglistik an der Universität Warschau, der systematisch seit den 60er Jahren des XX. Jahrhunderts die Handschriften seiner Werke und die Korrespondenz im Archiv deponierte. In seiner Sammlung befinden sich zahlreiche literarische Autographen, darunter der ganze literarische Nachlass von Stanisława Przybyszewska, Tochter des Schriftstellers Stanisław Przybyszewski, und dabei ihre Handschriften des Dramas: „Dantonssache”, nach dem Andrzej Wajda den berühmten Film „Danton” drehte, der viele Auszeichnungen auf internationalen Filmfestspielen erhielt.
Einige zehn Nachlässe enthalten Materialien von Professoren der Agrar-Akademie in Posen, wie Felicjan Dembiński, Bronisław Niklewski, Wiktor Schramm, Feliks Terlikowski, Tadeusz Vetulani und Karol Zaleski. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften ziehen auf sich die Aufmerksamkeit Materialien weltberühmter Gelehrten, des Astronomen Józef Witkowski und des Mathematikers Władysław Orlicz (1903-1990), der noch vor dem Zweiten Weltkriege ein Mitglied des berühmten Kreises der polnischen Mathematiker in Lemberg war. Unlängst fanden in Posen zwei Mathematiker-Tagungen aus Anlass des 100. Geburtstages von Prof. Orlicz statt. Zur internationalen Tagung im Juni 2003 wurden Dokumente und Fotografien aus dem Leben von Prof. Orlicz aus der Sammlung des Archivs auf eine CD gescannt und herausgegeben. Die Teilnehmer an der Landestagung der Polnischen Mathematiker-Gesellschaft, die im September 2003 in Posen tagte, konnten die Originale in einer Ausstellung im Collegium Mathematicum der UAM (Adam Mickiewicz – Uniwersität) sehen.
Wertvolle Materialien zum Thema Naturschutz in Grosspolen findet man in den Papieren der Professoren Adam Wodziczko und Helena Szafran. Die medizinischen Wissenschaften repräsentieren die Nachlässe des Franciszek Chłapowski und des Heliodor Święcicki (1854-1923), des ersten Rektors der Posener Universität, des Józef Jankowiak und die umfangreichen Sammlungen von Prof. Adam Wrzosek, dem Historiker der Medizin und dem Sammler der Quellen zur Geschichte der polnischen Wissenschaft.
Das Archiv bewahrt unter anderen die Nachlässe von 17 Mitgliedern der PAN, die durch zeitweilige Arbeit und Wohnsitz mit Grosspolen verbunden waren und von acht Rektoren der Posener Universität und sieben Vorsitzenden der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften.
Es befindet sich in unserem Bestand viele Autographen und ganz unerwartete Raritäten. Z. B. befand sich in den Papieren des Phytopathologen Karol Zaleski Dokumente, die die Geschichte einer polnischen Gruppe der Pfadfinder in Harbin in Mandschurei zur Zeit des Ersten Weltkrieges anbelangen. Dozent Jan Zaus verwahrte einige zehn Skizzen seines Freundes, des Ingenieurs der Architektur Romuald Mossoczy, der am Posener Polytechnikum arbeitete. Auf diesen Zeichnungen wurden die Aufsichten einiger Denkmäler in Grosspolen, Schlesien und Kleinpolen aus den Jahren 1947-1954 festgehalten. Prof. Adam Wrzosek rettete ein Fragment von Materialien zur Geschichte der alten Universität Wilna, und nämlich Diplomarbeiten von Ärzten und Chirurgen, Absolventen dortiger Lehranstalt aus der ersten Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Aus der Sammlung von Prof. Wrzosek stammt auch das älteste bei uns verwahrte Dokument, das von König Michał Korybut Wiśniowiecki im Jahre 1672 ausgestellt wurde.
Wir besitzen auch Autographen berühmter Polen wie z.B. Prof. Jędrzej Śniadecki, der am Anfang des XIX. Jahrhunderts an der Wilnaer Universität Vorträge über Chemie hielt. Dann die Autographen des Dr. Karol Marcinkowski aus Posen, des Schriftstellers Henryk Sienkiewicz, eine Zeichnung der weltberühmter Schauspielerin Helena Modrzejewska, ferner einige autographische Briefe von Karol Wojtyła.
Aber gibt es auch traurige Dokumente und Materialien, die das Riesenausma? an Vernichtung und Opfer – menschlichen, materiellen und moralischen – zeigen, die die polnische Wissenschaft und Kultur zur Zeit des Zweiten Weltkrieges erlitten haben. Dr. Andrzej Niesiołowski (1899-1945), Pädagoge und Soziologe, hinterliess in seinem Nachlass Hefte mit Texten der Vorträge, die er ca. 1941 für die polnischen Gefangenen im Offizierslager VI/B (Choszczno/Arnswalde in Pommern) gehalten hat. Er sprach damals unter anderen „Über die Konsequenz” und über „den nationalen Personalismus” (Sign. P III-31). Der Historiker Witold Jakóbczyk (1909-1986) war auch in den Jahren 1939-1945 in Offiziersgefangenenlagern. Aus dieser Zeit sind in seinem Nachlass Briefe an die Familie und Andenken (Zeichnungen, Notizen, Hefte zum Erlernen der englischen Sprache usw.) aufbewahrt.
Prof. Stefan Vrtel-Wierczyński, Bibliograph und Slawist, Direktor der Nationalbibliothek seit 1937, bewahrte in seiner Kollektion ein wertvolles für ihn Erinnerungsstück auf, nämlich eine kleine verkorkte Flasche mit Asche der Rapperswiler Sammlungen von Büchern, die durch die Nazis im Gebäude der Nationalbibliothek in Warschau (Der Krasiński-Palast) im Oktober 1944, nach der gewaltsamen Unterdrückung des Warschauer Aufstandes, kaltblütig verbrannt wurden.
Da viele Gelehrte sich bei verschiedenen wissenschaftlichen, politischen oder sozialen Organisationen betätigten, mit verschiedenen wissenschaftlichen Räten oder Regierungsabteilungen zusammen arbeiteten, finden wir in ihren Nachlässen Materialien, die auch die politische Geschichte Polens oder die Geschichte verschiedener bildungspolitischer und kultureller Institutionen oder Stiftungen dokumentieren, die die polnische Wissenschaft unterstützten.
Viele Gelehrte korrespondierten oder arbeiteten mit Vertretern der ausländischen wissenschaftlichen Institutionen zusammen. Daher finden wir unter den Materialien des Archivs Quellen zur Geschichte der Wissenschaft in der Welt. Z. B. finden wir im Nachlass des Historikers Prof. Bronisław Dembiński (1858-1939) wertvolle Materialien und Photografien, die seine Teilnahme an Internationalen Historiker-Tagungen (Brüssel 1923, Warschau 1933, Zürich 1938) dokumentieren wie auch Korrespondenz mit berühmten Gelehrten (u. a. Julius Caro, Alfons Dopsch, Ludwig Pastor, Harold Temperley). Unter den Korrespondenten des Prof. Dembiński befand sich Kardinal Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. Es befand sich auch ein Brief des Oberpräsidenten der Provinz Grenzmark Posen-Westpreussen, von Bülow aus Schneidemühl vom 5. Januar 1933. [Inventarverzeichnis der Materialien von Prof. Dembiński wurde in „Biuletyn Archiwum PAN” Nr 15. Warszawa 1972, veröffentlicht].
Unter den Materialien von Prof. Józef Witkowski (1892-1976) befanden sich zahlreiche Bearbeitungen, die die Astronomie in Polen und die internationale Zusammenarbeit der Astronomen dokumentieren, wie z.B. Materialien zum Artikel „Die Astronomie in Polen” (publiziert in Berliner Zeitschrift „Die Himmelswelt” 1937, Heft 11/12. Ferd. Dümmlers Verlag). Gefunden wurde auch ein Abrechnungsbuch über die „Ausgaben der Universitätssternwarte Posen”, das die Ausgaben des Astronomischen Observatoriums der Reichsuniversität Posen für den Zeitraum von April 1942 bis Januar 1945 dokumentiert [Sign. P III-91].
Der Historiker Zygmunt Wojciechowski (1900-1955), Begründer des West-Instituts, hinterliess einen umfangreichen Nachlass an Handschriften (über 2 lfd. m Akten), die von Forschern oft genutzt wurden [Sign. P III-8]. Z.B. hat unlängst Herr Markus Krzoska seine Disseration über Zygmunt Wojciechowski vorbereitet, indem er einen umfangreichen Teil der Materialien aus dem Archiv nutzte [Markus Krzoska: Für ein Polen an Oder und Ostsee. Osnabrück 2003, 482 S.].
Die wichtigste Aufgabe der Posener Abteilung des Archivs der Polnischen Akademie der Wissenschaften ist die Bewahrung und systematische Ergänzung seines Archivbestandes und seine genaue Bearbeitung, um den nachfolgenden Generationen ein deutliches Bild der polnischen Wissenschaft und Kultur um die Jahrhundertwende zu hinterlassen.
Die Archivbestände werden nicht nur den Wissenschaftlern und Studenten der Posener Lehranstalten, sondern auch den wissenschaftlichen Kreisen des Landes und des Auslandes und allen Personen, die sich für die Geschichte und Leistungen der Wissenschaft in Polen interessieren, zugänglich gemacht. Ausser der unmittelbaren Benutzung der Archivalien antwortet die Stelle auf alle mündlichen, telefonischen, schriftlichen und per e-mail Fragen, die ihre Bestände anbelangen.
Die Mitarbeiter des Archivs veröffentlichen auch Informationen über Sammlungen und über die Geschichte der Wissenschaften durch Ausstellungen und Vorführungen, durch Mitteilungen und Artikel in Zeitschriften und letztlich durch das INTERNET auf der Seite: http://www.man.poznan.pl/
dr Anna Marciniak
dr Jarosław Matysiak